Wer die Wichtigkeit der Lehre kleinredet, handelt so wie einer, der sich selbst das Grundnahrungsmittel verbietet. Er wird abmagern und krank werden. - Thomas Lange -

Der Toronto-Segen und Heilungen

Der so genannte „Toronto-Segen“ nahm seinen Anfang in der Toronto Airport Christian Fellowship (TACF), einer charismatischen Gemeinde in Toronto, Kanada, welche John Wimbers Vineyard-Bewegung angehörte und bis heute unter der Leitung von Pastor John Arnott steht. Im Januar 1994 kam es unter dem charismatischen Gastprediger Randy Clark zu einer „Erweckung“, welche von ekstatischer Anbetung, hemmungslosem Lachen, Umfallen sowie anderer Manifestationen begleitet war. Obwohl übernatürliche Heilungen nicht im Mittelpunkt dieser Erweckung standen, ließen Berichte von Heilungen nicht lange auf sich warten. Der kanadische Charismatiker und Professor für Theologie, James Beverley, untersuchte drei „Heilungen“, die sich in der TACF ereignet haben sollen.1

  1. 1. David Stark

Pastor John Arnott bezeugte am 20. Januar 1995, dass David Stark in einem Gottesdienst in der TACF vom 15. Dezember 1994 auf übernatürliche Weise von Krebs geheilt wurde; er stützte sich dabei auf die Angaben von David Stark selbst und den Brief seines behandelnden Arztes Dr. Bryan vom 29. Dezember 1994. David Stark litt an Krebs (Lymphom) und erlebte während des Gottesdienstes, wie seine starken Schmerzen auf ein erträgliches Maß zurückgingen. Der behandelnde Arzt Dr. Kyle Bryan bestätigte die  „dramatische Besserung“ des Allgemeinzustandes seines Patienten, insbesondere die Reduzierung der starken Schmerzen. Klinische Untersuchungen, welche eine Heilung zweifelsfrei unter Beweis stellen würden, enthielt der Brief allerdings nicht.

Dr. John Axler, Allgemeinmediziner und Freund von James Beverley, recherchierte mit Zustimmung von Pastor John Arnott und David Stark den weiteren Verlauf der Ereignisse. Dr. Axler las den Brief von Dr. Bryan und kam zu dem Schluss, dass es verfrüht sei, von einem „Wunder“ zu sprechen. Anfang Februar 1995 sprach Beverley telefonisch mit der Ehefrau von David Stark. Sie teilte ihm mit, dass eine kürzlich durchgeführte Untersuchung (Kernspintomographie) ergeben hatte, dass der Krebs noch vorhanden war und sogar gewachsen war (um 50%). Kurz darauf verstarb ihr Ehemann.

  1. 2. Heather Harvey

Die damals 13-jährige Heather soll im Februar 1994 während eines Gottesdienstes in der TACF von Legasthenie geheilt worden sein. Guy Chevreau, enger Mitarbeiter von John Arnott, hat diese Heilung in seinem Buch Catch the Fire (dt. Ausgabe: Der Toronto Segen) niedergeschrieben. Heather ging unter Gebet zu Boden und berichtet später, wie sie Engel beobachtete, welche einen chirurgischen Eingriff an ihrem Gehirn vorgenommen hatten. Beverley zog Dr. Sharon Cohen für diesen Fall zu Rate, da sie als Spezialistin auf dem Gebiet von Sprachfehlern an der Universität von Toronto tätig war.

Dr. Cohen riet zu einer medizinischen Untersuchung, um die Heilung zu bestätigen. Beverley schrieb daraufhin einen Brief an die Eltern und schlug vor, die Heilung durch ein medizinisches Attest bestätigen zu lassen. Nachdem die Eltern von Heather Harvey auf den ersten Brief nicht antworteten, schrieb Beverley einen zweiten Brief. Hierauf antworteten die Eltern und teilten ihm mit, dass sie sich die Kosten für eine solche Untersuchung nicht leisten könnten; dennoch versicherten sie ihm, dass ihre Tochter geheilt sei. Beverley lässt nach seinen Ausführungen offen, ob eine tatsächliche Heilung vorliegt, räumt aber ein, dass sie definitiv nicht „bewiesen“ wurde.

  1. 3. Sarah Lilliman

Guy Chevreau beschreibt in seinem Buch Catch the Fire eine weitere „Heilung.“ Nach Chevreaus Bericht zeigten sich bei der 13-jährigen Sarah im Jahre 1991 plötzlich Symptome von Gehstörungen, die zeitweise einen Rollstuhl erforderlich machten; ferner litt sie unter massiven Ess- und Sehstörungen sowie Wahrnehmungsstörungen. Der Zustand des Mädchens war derart schlecht, dass sie in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Ärzte, so Chevreau, gingen davon aus, dass das Mädchen unter einer chronischen, unheilbaren Krankheit litt. Am 26. April 1994 wurde für das Mädchen in der TACF gebetet. Dieses Gebet sowie nachfolgende Erfüllungen mit dem Heiligen Geist (outpourings of the Holy Spirit) führten zu der Wunderheilung von Sarah.

Nachdem sich Beverley nach persönlicher Rücksprache mit Chevreau und den Eltern der geheilten Sarah Lilliman deren Zustimmung eingeholt hatte, den Fall zu dokumentieren, traf er sich mit den Eltern zu einem ersten Gespräch. Beverleys Freund, der Mediziner Dr. John Axler, unterstützte Beverley bei seinen Recherchen. „Schon bei meinem ersten Gespräch mit der Familie, wurde sofort klar, dass es größere und kleinere Probleme mit der Darstellung von Chevreau gab,“ berichtet Beverley.2 Er fährt fort: „Als ich mit Sarah sprach, betonte sie, dass ihre Genesung nicht so schnell und dramatisch verlaufen war, wie dies im Buch geschildert wurde… und dass der zweite Teil der Heilungsgeschichte nicht stimmt.“3

Dr. Axler und Beverley durften nach Zustimmung der Eltern alle medizinischen Berichte bezüglich Sarahs Erkrankung und Behandlung am Bloorview Hospital einsehen. Beverley kam zu dem Schluss, dass zu den anfänglichen Ungereimtheiten weitere hinzukamen: „Einige dieser (Unklarheiten) beziehen sich auf fehlerhafte Eindrücke oder falsche Annahmen, und es gibt auch eine Reihe von eindeutig fehlerhaften Fakten.“4

Die gemeinsamen Recherchen von Dr. Axler und Beverley ergaben folgende Resultate:

  • Die Probleme, von welchen sie angeblich 1994 ‚geheilt’ wurde, waren bereits während eines vierwöchigen Aufenthaltes in einer Kinderklinik im Jahre 1991 verschwunden.
  • Die ärztlichen Berichte lassen deutlich erkennen, dass man die Symptome als psychosomatisch betrachtete.
  • Die Aussage Chevreaus, dass keine Aussicht bestand, dass Sarah jemals die Kinderklinik verlassen werde, ist falsch. Die Krankenakte von Sarah macht deutlich, dass sie in den Jahren 1989 – 1993 ein ständiges Auf und Ab ihres Gesundheitszustandes erlebte. Ferner heißt es in ihrer Krankenakte, dass die Möglichkeit der Heilung einer psychosomatischen Erkrankung grundsätzlich denkbar ist.5

Beverley kommt zu dem Schluss: „Es ist angemessener, die Genesung von Sarah als eine dramatische psychologische und körperliche Reaktion auf Gebet, Zuneigung und Liebe zurückzuführen.“6

 

Beverleys Fazit zu den drei Heilungen

Beverleys Fazit bezüglich der drei „Heilungen“, welche er mit Hilfe von Medizinern äußerst gründlich recherchierte, lautet:

  • Es kostet einen Preis, wenn die Leiter der Vineyard-Bewegung Heilungen bezeugen, bevor sie medizinisch bestätigt und über einen längeren Zeitraum gesichert wurden. Im Fall von Stark und Lilliman werden die Probleme deutlich, welche übereilte und voreilige Schlussfolgerungen nach sich ziehen.
  • Die Leiter der Vineyard-Bewegung sollten ihre Hingabe an die Wahrheit unter Beweis stellen, indem sie falsche Eindrücke und fehlerhafte Fakten bezüglich angeblicher Heilungen korrigieren. Diesbezüglich sollten zukünftige Auflagen von Guy Chevreaus Buch Catch the Fire … korrigiert werden…
  • Der Fall von Heather Harvey (Hopkinsville) zeigt die Notwendigkeit auf, dass charismatische Gruppen sich bereit erklären sollten, medizinische Gutachter zu finanzieren, um wundersame… Berichte zu bestätigen. Wenn medizinische Studien erforderlich werden, um Ereignisse genau abzuklären, ruht die Beweislast auf jenen, welche die Behauptungen aufstellen.7

James Beverley ist ein bekennender Charismatiker, der in seinem Buch zum Ausdruck bringt, dass er an göttliche Heilung glaubt. Dass er dennoch unvoreingenommen an die Heilungsberichte der TACF herangeht, unterstreicht seine Wahrheitsliebe, ein Merkmal, das leider so manchem Charismatiker fehlt. Sobald die Zentralität Christi verloren geht, begegnet uns ein verzerrtes und verdrehtes Evangelium. Dass ein solches Evangelium das Handeln der Zuhörer negativ beeinflusst, ist unvermeidbar.

Fazit

Wer sich eingehender mit den pfingstlich-charismatischen Heilern aus der Vergangenheit und der Gegenwart auseinandersetzt, wird immer wieder auf Ungereimtheiten, Widersprüche und nicht selten auf Unmoral und Skandale stoßen. Kritik an vielen Wunderheilern kommt nicht nur von der säkularen Presse; selbst pfingstlich-charismatische Leiter benennen und verurteilen unverhohlen die Auswüchse der Heilungsbewegung.

Wenn man eine Lehre aus der Geschichte der charismatischen Heiler ziehen kann, dann diese, dass sie weit davon entfernt ist, geistlich reifer zu werden und man erwarten muss, dass in Zukunft die unbiblischen Tendenzen noch zunehmen werden. Den wachsamen Jünger Jesu wird dies nicht erstaunen, denn er weiß, dass in den letzten Tagen vor der Wiederkunft seines Herrn viele im Namen Jesu Wunder wirken werden und dennoch nicht von Jesus gesandt sind. Die Verführten und Verblendeten hingegen werden ihren Wunderwirkern zujubeln.

 

 

Anmerkungen

 

1      James A. Beverley, Holy Laughter and the Toronto Blessing – An Investigative Report, Zondervan Publishing House, Michigan, 1995, S.103-120

2      ebd., S.117

3      ebd., S.117

4      ebd., S.118

5      ebd., S.118-119

6      ebd., S.119

7      ebd., S.120